Nach Angaben von geretteten Costa Concordia Passagieren im cruise critic board schickte Costa bereits am Unglücksabend gegen 22.00 die ersten Mitarbeiter zur Hilfe nach S. Giglio; d.h. lange bevor der Evakuierungsbefehl gegeben wurde. Dieser frühe Zeitpunkt bestätigt außerdem die Angabe des Costa CEO, daß die Reederei kurz vor 22.00 von dem enormen Crash wußte. Wenn diese Angaben stimmen, ist es um so unverständlicher, daß nicht umgehend das MayDay Signal gesetzt und mit der Evakuierung begonnen wurde. Ich kann mir das nur so erklären, daß Kapitän und Reedrei unter allen Umständen versuchten, das Schiff zu retten, etwa, in dem man es in den Hafen von S. Giglio steuern wollte, was angesichts der Manoeuvrierunfähigkeit total illusorisch war, aber keine Schiffsaufgabe und damit nicht den Totalverlust für die Reederei bedeutet hätte. Dabei scheuten sie nicht davor zurück, sowohl Passagiere wie Küstenwache zu belügen und Tote in Kauf zu nehmen; Wut und Entsetzen der Küstenwache und Hafenbehörden sind dann nachvollziehbar.
All diese Angaben passen in das trübe Bild, das Reederei und Kapitän abgeben; dazu passt im weiteren Rahmen auch, daß gestern im Hafen von San Francisco 40 Mitarbeiter der Costa Deliziosa gestreikt haben, um auf die nicht eingehaltenen Zusagen bei der Bezahlung und die extrem schlechten Verpflegungsbedingungen aufmerksam zu machen (
http://abclocal.go.com/kgo/story?sectio ... id=8522648).
Man fragt sich immer wieder, wie es zu einer so menschenverachtenden Haltung gepaart mit Unfähigkeit und Arroganz seitens des Kapitäns kommen kann. Ich denke, daß Katastrophen aus Fahrlässigkeit sich vor allem dann ereignen können, wenn Inhaber leitender Positionen seit langer Zeit gewohnt sind, an Rädern zu drehen, bzw. an 'Schalthebeln' zu sitzen, die für sie eigentlich zu groß und zu komplex sind, so daß sie mangels Fähigkeit gar nicht in der Lage sind, im Ernstfall verantwortlich zu handeln und deshalb auch keinerlei Hemmungen haben, ihren Posten und die ihnen Anvertrauten im Stich zu lassen. D.h. sie sind womöglich nicht nur in ihre Position 'hineingehievt' worden, sondern gehören auch noch einer eng mit einander verwobenen, mächtigen Gesellschaftsstruktur an, die dafür sorgt, daß sie selbst bei eklatanten Fehlern nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Dieser Hintergrund vermittelt m. E. die Selbstsicherheit/ Überheblichkeit für die gewagtesten Manöver, nicht so sehr das Können.
Daß es sich so verhalten mag, legt ein gestern in internet gestellter, offener Brief des neapolitanischen Reeders Domenico Ievolo an den Kolumnisten Aldo Grasso des Corriere della sera nahe. Grasso hatte am 19. Januar das Verhalten von Schettino und De Falcos (diensttuender Hafenkapitän vonLivorno) kontrastiert und bei De Falco für seine Haltung und die offenen Worte gedankt. Der stilistisch elaborierte, weitschweifige und vor Selbstgefälligkeit strotzende Brief Ievolos wirft dem Kolumnisten vor, daß er aus Ignoranz den Falschen zum Helden stilisiert hätte, einen Mann ohne Hintergrund ('senza storia'), während er als alter, diplomierter (1948) Seemann und Reeder (dessen eines Schiff gerade von somalischen Priaten gekapert wurde- aber das steht in dem Brief natürlich nicht) wüßte, was Sache sei. De Falco sei mit Sicherheit kein 'Held sondern ein Risiko für das Land', da er den Kapitän angebrüllt und damit verunsichert hätte. (Das Wort 'Held' wurde von Grasso allerdings weder benutzt, noch von De Falco akzeptiert). De Falco habe einen Imageschaden für Italien verursacht, während Schettino lediglich bei seiner Arbeit einen Fehler gemacht habe. Daß viele Italiener dies seit 14 Tagen genau anders herum sehen, schert überhaupt nicht.
Ievolos Antwort wurde mit Unterstützung des neapolitanischen Kapitänskollegs verfaßt und als maßgeblich dargestellt. Dieses Auftreten verdeutlicht, welche Netzwerke im Hintergrund dieses Unglücks positioniert sind, und mit welchen Mitteln hier um Macht und Einfluß gerungen wird. Um Recht geht es dabei überhaupt nicht, und das macht die Dreistigkeit aus, mit der diese Leute agieren. Es sind die Netzwerke, die nicht nur die italienische Handelsmarine bestimmen, sondern auch die Kreuzschifffahrt, denn MSC gehört auch in diesen 'Club'. Es sind außerdem Netzwerke, auf die sich Berlusconi stützen konnte.