Raoul Fiebig hat geschrieben:Aber generell ist das erst mal eine Katastrophe - und eine völlig unnötige und panikgetriebene.
Da gebe ich Dir recht. In den letzten 20 Jahren wurden die Schiffe immer größer, mit immer mehr Kapazität gebaut. Das rächt sich nun plötzlich. Erst einmal steigt naturgemäß mit mehr Personen die Wahrscheinlichkeit, dass irgendeiner davon irgendwas 'mit auf's Schiff bringt', was besser nicht dahin gehört. War dies bislang lästig bis unangenehm (z. B. durch Erkältungs- oder Magen-/Darm-Geschichten), steht nun den Verantwortlichen - wie schon bei der Westerdam - die Panik im Gesicht, wenn sie mit bis zu 8.000 potentiell Erkrankten - oder zumindest der Erkrankung Verdächtigen - auf einen Schlag rechnen müssen.
Bislang hat man die Kapazität eines Hafens an der touristischen Infrastruktur gemessen (und ist auch da oft bis über die Grenzen gegangen). Nun, angesichts der in meinen Augen immer noch überzogenen Hysterie, schauen die in den Behörden Verantwortlichen nach der vorhandenen Kapazität für Notfälle, und die ist schlicht für eine derartige Anzahl an Menschen tatsächlich nicht vorhanden. (Dass sie im Falle Corona bei weitem nicht im befürchteten Ausmaß benötigt wird, ist dabei auch meine Überzeugung.)
Die US-Reisewarnung ist dreifach fatal: Erstens wird sie die Branche ins Mark treffen. Zweitens geht durch die mehrfache explizite Benennung der Kreuzfahrt die eigentliche Aussage unter. Die lautet: Alte, Schwache und Vorbelastete sollten Menschenansammlungen und Langstreckenflüge meiden. Der Leser wird dies aber ausschließlich auf Kreuzfahrten beziehen, insbesondere auf Kreuzfahrten zu ferneren Destinationen. Und Drittens geht durch den starken Kreuzfahrt-Bezug nahezu unter, dass da schlicht steht: 'Egal, wo Du Dir als US-Bürger irgendwas einfängst: Rechne nicht damit, dass Du zurückgeholt wirst.' Letzteres hat die deutsche Politik ja auch beschlossen und im Falle des Hotels auf Teneriffa bereits eingehalten. Der Unterschied: Bei uns gab es keinen Kreuzfahrt-Bezug bei der Veröffentlichung.
Die Clia hat hier m. E., sicher auch aus einer gewissen Hilflosigkeit, in den letzten Tagen grundfalsch argmentiert. Statt auf Prüfungs- und Sicherheitsstandards zu verweisen, hat man auf den Branchenumsatz und die Zahl der Arbeitdplätze verwiesen. Nun ja, der Umsatz ist für die amerikanische Wirtschaft Peanuts, und die Arbeitsplätze betreffen in der übergroßen Mehrzahl Nicht-Amerikaner.
Die Kreuzfahrt wird weitergehen. Ob aber die größen und größeren Schiffe der letzten Jahre noch ausreichend gebucht werden, wage ich zu bezweifeln. Vielleicht wird im einen oder anderen Fall die Herabsetzung der Passagierzahl etwas bringen. Der Markt wird sich bereinigen und irgendwann wieder erholen. Um kleinere Schiffe und deren Betreiber mache ich mir weniger Sorgen. Wohl aber um die Werften, deren große Neubauten wohl für einige Jahre schlicht nicht mehr gebraucht werden.
In jedem Fall wird, nach einer mehr oder weniger kurzen Preisschlacht die Sozialisierung der Kreuzfahrt (sprich: Immer mehr mit immer geringerem Einkommen können sich eine der immer billiger werdenden Kreuzfahrten leisten) ihr Ende finden. Bei zukünftigen Verhandlungen zu Anläufen wird wohl nicht nur das Argument 'Mehr Passagiere = höhere Hafengebühren' zählen, sondern auch die Überlegungen eine Rolle spielen, wieviele Menschen ein Hafen im Ausnahme-/Krisenfall handhaben will und kann.
Denn das dringendste Problem der Reedereien ist derzeit, wo sie die Passagiere, die sich gegenwärtig an Bord befinden, loswerden können. Schlimmstenfalls bliebe nichts anderes übrig als jedes Heimatland anzufahren. Oder man findet, wie mit Kambotscha für die Westerdam einen barmherzigen Staat, der dann im Gegenzug sicherlich (verdient!) auf die eine oder andere Art und Weise entschädigt wird.
Sofern unsere Karibik-Kreuzfahrt in fünf Tagen denn starten wird bin ich schon gespannt, wieviele US-Bürger auf die Empfehlung pfeifen werden und an Bord zu treffen sind - und wie das Handling bei einem weitgehend autark operierenden kleinen Schiff (max. 227 Passagiere, und außer dem Ein- und Ausschiffungshafen ist nur ein Liegeplatz an einer Pier geplant; der Rest sind Tender-Destinationen) sein wird. Auf tägliches Fiebermessen und eine Fülle an Formularen sind wir ohnehin eingerichtet.
Nachdenklichen, traurigen Gruß
Diddn