Hallo zusammen,
im Zuge der Berichterstattung über die
Sewol und den Vergleichen, die die Medien zur Costa Concordia ziehen (beide Kapitäne waren recht schnell dabei, das Schiff zu verlassen), bin ich auf eine
ältere Präsentation des italienischen Ministeriums für Tarnsport und Logistik gestoßen, die einige Zahlen nennt, die zumindest mir bisher so noch nicht bewusst waren. Ich kann nicht ausschließen, dass wir das Dokument hier im Thread schon einmal hatten (ich habe da ein wenig den Überblick verloren

). Falls dem so sein sollte, ignoriert bitte dieses Posting.
Interessant an dem Dokument ist aus meiner Sicht, dass es zum einen aus einer "sicheren" Quelle kommt, zum anderen sehr viele Zeitangaben enthält. Auf Seite 32 finden sich Angaben zur seitlichen Neigung des Schiffs, auf den Seiten 48 bis 53 die Ergebnisse einer Flutungssimulation. Mir sind dabei insbesondere die Zeit und Mengenangaben der Wasseraufnahme aufgefallen. Ich habe mal in einem Diagramm verdeutlicht, was ich meine:

Auf der X-Achse habe ich die Zeit seit der Kollision eingetragen. Die blaue Kurve gibt die Seitenneigung in Grad an, mit Rot die Menge an aufgenommenem Wasser aufgetragen. Ich habe die Wassermenge auf 200t je Einheit skaliert, damit die Kurven im Diagramm halbwegs vergleichbar werden. Zusätzlich habe ich einige Zeitpunkte, die im Dokument standen, einmal in grau mit eingezeichnet. Ich habe dabei nur Zeitangaben aus diesem Dokument berücksichtigt. Als Zeitpunkt "Schettino verlässt das Schiff" habe ich zunächst einmal den auf Seite 23 genannten Zeitpunkt, als er im Rettungsboot war, genommen. Auch wenn die Angaben vielleicht nicht 100%ig verlässilich sind, da sie vermutlich aus verschiedenen Quellen zusammengetragen wurden und zum Teil Schätzungen (z.B. Neigung) beinhalten, ergibt sich doch ein gewisses Gesamtbild.
Interessant waren für mich die zeitlichen Zusammenhänge.
- Die Concordia hatte zunächst einen sehr starken Wassereinbruch. Ungefähr zu dem Zeitpunkt, zu dem sich die Brücke über das Ausmaß des Schadens im Klaren gewesen sein dürfte, ließ der Wassereinbruch erheblich nach. Man kann hier fast von einem Stillstand sprechen.
- Erst nach dem finalen Auflaufen auf Grund an der Küste von Giglio ging die Wasseraufnahme wieder in die Höhe, dieses Mal nahezu sprunghaft.
Was für mich unklar bleibt ist die Ursache für den heftigen Wassereinbruch ca. 70 Minuten nach der Kollision. War das eine weitere Beschädigung beim Auflaufen, hat der Wind das Schiff derart stark gegen Land gedrückt, dass die Neigung durch diese Kraft etwas erhöht wurde und es dadurch zu einer zusätzlichen Wasseraufnahme kam oder sind das zufällig gleichzeitig auftretende Ereignisse.
Durch diese zeitlichen Abläufe werden für mich aber einige Dinge etwas plausibler. Ich möchte hier vorwegschicken, dass ich weiterhin keinesfalls der Meinung bin, dass Schettino richtig gehandelt hätte oder gar unschuldig sei. Ich habe bisher lediglich sein Handeln überhaupt nicht nachvollziehen können und mich gefragt, wie jemand, der wahrscheinlich als einer der wenigen weiß, dass er auf einem sinkenden Schiff sitzt, die Ruhe hat, sich ein Abendessen zu bestellen (siehe
CNN), und dann auf einmal schnellstmöglich ins Rettungsboot springt. Das lag für mich nahe an einem schizophrenen Zustand. Die zeitliche Abfolge lässt mögliche Punkte erkennen, die ihn zunächst in den Glauben versetzt haben könnten, das das Schiff aufrecht bleibt, anschließend aber auch seine Flucht motivieren.
- Wenn man nahezu zeitgleich mit der Schadensmeldung an die Brücke festgestellt haben sollte, dass kein weiteres Wasser genommen wird, könnte das fälschlicherweise dazu geführt haben, dass man sich sicherer fühlte als man es vielleicht tatsächlich war. Die Planungsunterlagen sagen ja nur aus, wieviel Schaden bzw. wieviel Wasser das Schiff auf jeden Fall "vertragen" kann. Jede sicherheitskritische Berechnung nimmt aber eine gewisse Sicherheitsreserve mit hinein. Ob diese auch aufgebraucht ist, kann man vermutlich kaum spontan entscheiden.
- Das "Abandon Ship" kam nach der Präsentation auf die Minute zeitgleich mit dem Auflaufen in Giglio. Wenn man davon ausgeht, dass er mit einem vermeintlich "sicheren" Schiff so nah wie möglich an Land kommen wollte, wäre das die korrekte Entscheidung gewesen. Allerdings muss man festhalten, dass die Concordia zu diesem Zeitpunkt bereits um 15° zur Seite geneigt war, sprich man von der rechten zur linken Seite einen Höhenunterschied von etwas mehr als zwei Decks (in aufrechtem Zustand) hatte. Auch ist es natürlich unverantwortlich, dass er bis zu diesem Zeitpunkt keine Rettungskräfte angefordert oder voralamiert hat. Das zeigt dann wieder, wie sehr er sich wahrscheinlich an den vermeintlichen Strohhalm geklammert hat, um seine Karriere vielleicht doch noch zu retten.
- Spätestens nach der erneuten heftigen Zunahme des aufgenommenen Wassers musste Schettino klar sein, wo das Ganze endet. Das wäre ca. 90 Minuten nach der Kollision oder um 22:15 Uhr gewesen. Das war auf jeden Fall zu einem Zeitpunkt, an dem er noch an Bord war. Selbst wenn man andere Quellen hinzuzieht findet man kaum Angaben, die von einer Flucht vor 23:30, also 105 Minuten nach der Kollision ausgehen.
Nochmal: Das schmälert für mich keineswegs die Schuld, es gibt für mich lediglich einen Hinweis darauf, warum er der Meinung gewesen sein könnte, seine Karriere noch retten zu können und nicht selbst direkt von Bord gegangen ist.
Viele Grüße
Arno