Friedrich hat geschrieben: 18.12.2020 16:49
Die Reisewarnung war längst fällig! [...]Leute haltet mal für ein paar Monate die Füße still und nutzt nicht jedes Schlupfloch um privat zu urlauben oder auch unter dem Deckmantel des Journalismus zu verreisen. Ist das denn so schwer???
Wenn ich in der Schlange vor dem Aldi eine halbe Stunde zwischen anderen warten muss, werde weder ich noch jemand anders getestet.
Wenn ich im Aldi eine weitere Viertelstunde an der Kasse stehe, der Herr hinter mir ohne Abstand mir ins Genick keucht, werde weder ich noch jemand anderes getestet.
Wenn ich mit dem Bus fahre und habe das Pech gerade dann an einer Schule vorbei zu fahren wenn die Klasse mit Präsenzunterricht Schulschluss hat, kann ich für mich wie auch für die Omas auf dem Weg zum Hausarzt im Bus den Abstand vergessen. Mein Bus fährt dann übrigens fast eine Stunde. Und wieder wurde niemand getestet, weder davor, noch danach.
Wenn ich organisiert verreise, werde ich alle Nase lang gefragt, wie es mir geht, ob ich mehr als 37,2 Grad Körpertemperatur habe (oder es wird gleich mal gemessen, sogar täglich), ob ich Kontakt zu Infizierten gehabt haben könnte. Und ich werde getestet, wie jeder andere auch, der mit mir verreist.
Was ist da nun das höhere Risiko?
Hinzu kommt, dass man bis Oktober recht genau wusste, wo sich Menschen ansteckten. Auf Reiserückkehrer - die damals bereits vollumfänglich getestet wurden, wenn sie aus einem Risikogebiet kamen und die Möglichkeit des freiwilligen Tests hatten, wenn dies kein Risikogebiet war - entfielen rund 2 % der Infektionen. Und die zum allergrößten Teil nicht auf Urlauber im klassischen (Pauschalreise-)Sinn, sondern nahezu ausschließlich begründet im ethnischen Verkehr, also durch den Besuch von Familie und Freunden. Zwar sagte unsere Kanzlerin dann Ende Oktober, man könne bei der Mehrzahl der Infektionen nicht mehr feststellen, woher die kämen. Es gab und gibt aber keinerlei Hinweis, dass sich das Verhältnis, wo sich Personen infiziert haben, in irgendeiner Form mehr als marginal verschoben hätte. Weiterhin sind Pflegeheime, Arbeitsplätze und Schulen hier deutlichst führend.
Ich vermute sogar, dass die Reiserückkehrerquote eher gesunken ist, denn inzischen verlangen die meisten Zielgebiete bereits einen Test vor dem Reisebeginn. Somit können die Fälle rausgerechnet werden, in denen die Reisenden bereits vor Reisebeginn infiziert waren - was dann eben mangels frühzeitigerem Test erst bei Reiserückkehr festgestellt wurde.
Besteht nun das größere Risiko hier, oder auf Reisen - sofern dies wie es derzeit geboten ist, verantwortungsbewusst stattfindet und nicht in einer Corona-Party am Ballermann endet?
Ich verstehe jeden, der unter den gegenwärtigen Umständen nicht reisen möchte. Das sollte aber eine rein persönliche Entscheidung sein und bleiben. Ein Verteufeln von Reisen im Allgemeinen ist schlicht falsch. Und ebenso verbietet es sich, verantwortungsbewusst Reisende dafür anzuzählen, dass sie reisen.
Ist das denn so schwer???
Sorry, das Zitat musste nochmal genau an diese Stelle.
Wie die Politik einerseits von differenzierter Betrachtung spricht, andererseits aber das (dem Bund gehörende) RKI pauschal alle Inseln der Kanaren brandmarkt (korrekterweise hätte man nach der politischen Gliederung die beiden Provinzen separiert betrachten müssen, streng genommen aufgrund der jeweiligen naturgemäßen Isolierung jede Insel für sich), hat das ein ordentliches G'schmäckle. Im Fall der französischen Übersee-Departements wird ordentlich abgegrenzt, und selbst das Kleinwalsertal zählt nicht zu den Risikogebieten Österreichs. Da drängt sich (wohl nicht nur mir) der Verdacht auf, dass da schlicht der Urlaub nicht gegönnt wird. Durch das Konstrukt des scheinbar unabhängig agierenden RKI und das automatisierte Folgen dessen Entscheidungen durch das AA wird die Sache nicht besser, nur schwerer für Otto-Normalverbraucher zu durchschauen.
Würde die Definition von Risikogebieten z. B. eine Art 'Vorwarnstufe' enthalten (ähnlich der 35er-Grenze im Inland), wäre eine ungünstige Entwicklung eher absehbar, Möglichkeiten zum Reisen wären kalkulierbarer. Zumindest mit zwei, drei Wochen Vorlauf. Darauf wird aber bewusst verzichtet. Und, um den Bogen zurück zu den durchorganisierten Kanaren-Kreuzfahrten zu schlagen, stellt sich die Frage, inwiefern diese Reisen überhaupt als Auslandsreisen zählen. Schließlich wird mit deutschen Flugzeugen geflogen (da hat niemand etwas dagegen, z. B. von Hamburg nach München zu fliegen), es wird nach deutschen Corona-Maßstäben während der Reise gelebt und alles ohne großen Kontakt zur lokalen Bevölkerung. Aber: Alle wurden vorher getestet. Sicherer geht es nur, wenn ich mich in der Wohnung einschließe, bis der Impfstoff an meine Tür klopft.
Ob das die Art ist, wie ich mir Urlaub vorstelle? Sicher nicht. Mir ist die Begegnung mit der jeweiligen Bevölkerung, den Eigenarten der bereisten Länder etc. wichtig. Daher suche ich andere Formen des Reisens. Auf kleinen Schiffen, mit wenigen Menschen, zu gering besuchten Orten. Oder in kleinen Hotels, abseits der großen bekannten Urlaubsgebiete und mit einem Mietwagen. Aber ich reise. Und dafür möchte ich nicht an irgendeinen Pranger gestellt werden, mit einer Vielzahl von Fragezeichen oder übergroßer Schrift bombardiert werden. Die Meinung spreche ich niemandem ab. Aber Tolerenz - auch eine der Tugenden von Reisenden - braucht man nicht ablegen, nur weil man für sich gerade entschieden hat, nicht zu verreisen.
Diddn