Haken in der Routenführung, Minimaltempo eines Schiffs

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lausebengel
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Haken in der Routenführung, Minimaltempo eines Schiffs

Beitrag von lausebengel »

Hallo zusammen,

ich komme von 4 Tagen auf der MS Artania im Mittelmeer zurück. War alles wunderbar.

Eine Frage, die sich auf diese Routenführung bezieht:
  1. Warum fahren wir nach Olbia und Civitavecchia solche Haken? (Antwort des zufällig getroffenen Deck Cadets: "Weil wir nicht langsamer fahren können. Ist schlecht für den Motor."
  2. Ok, verstehe ich in etwa. Aber: Warum "kuppeln" wir dann nicht einfach aus, so wie im Hafen liegend auch? "Auf Reede gehen", irgendwo im Mittelmeer, mitten in der Nacht. Oder gar Motor ausstellen (ist klar, dann laufen die Generatoren nicht mehr, also wäre das nicht so gut...). Stört niemanden, und spart Sprit. (Deck Cadet: "Das geht nicht." -- dann wollte ich ihn nicht weiter nerven, da er offensichtlich auch gerade wieder zurück zur Brücke musste)
  3. Warum starten wir dann nicht einfach 2h später in Olbia? Ist der Lotse dann so viel teurer, dass wir lieber munter-lustig unnötige Wellen im Mittelmeer schlagen? Oder will der Gast einfach das Auslaufspektakel bequem vor dem Abendessen erleben, und bloss nicht, wenn gerade die Show beginnt...?!
Hat jemand so viel Nautikerfahrung, um die Fragen zu beantworten? Es geht ja schon um einige Tausend bis Zehntausende EUR an Spritkosten. Sicherlich haben sich also Leute bewusst Gedanken gemacht, warum es so und nicht anders soll.

Danke und Grüsse,
Ben

P.S.: Ich könnte so einen Deck Cadet, oder auch Kapitän, vermutlich einen ganzen Tag mit Fragen zur Nautik und zur Logistik so einer Kreuzfahrt löchern. Gibt es irgendwo richtig gut Bücher oder Blogs/Berichte im Internet, was für eine Organisation hinter einer Kreuzfahrt steht?
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Homer
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Re: Haken in der Routenführung, Minimaltempo eines Schiffs

Beitrag von Homer »

Moin

zu 1) Das Schiff soll mit einer bestimmten fahrt durch das Wasser fahren, damit es ruhiger liegt und die Wellen richtig "anfährt"

zu 2) Schon mal Tretboot am Meer gefahren? Macht man nichts legt sich das Boot quer und schaukelt ordentlich durch die Wellen. Bei spiegelglatter See geht das schon...

zu 3) Der Lotse wird zu einer bestimmten Abfahrtszeit gebucht und die Liegegebühr im Hafen fällt ja auch noch an. Jede Verzögerung kostet.

Fachmann bin ich aber auch nicht
gruß
lausebengel
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Re: Haken in der Routenführung, Minimaltempo eines Schiffs

Beitrag von lausebengel »

Homer hat geschrieben:Moin

zu 1) Das Schiff soll mit einer bestimmten fahrt durch das Wasser fahren, damit es ruhiger liegt und die Wellen richtig "anfährt"

zu 2) Schon mal Tretboot am Meer gefahren? Macht man nichts legt sich das Boot quer und schaukelt ordentlich durch die Wellen. Bei spiegelglatter See geht das schon...
Ok. Kann ich in etwa nachvollziehen. Ist es also total gängige Praxis, bei "zu nahe" beieinander liegenden Häfen über Nacht schöne Schleifen durch die Meere zu ziehen? Oder ist das eine Besonderheit der relativ alten MS Artania (1984, wobei ja hin und wieder gut renoviert)? Während meiner vorherigen 3 Kreuzfahrten ist mir so etwas nie aufgefallen.

Gibt es Schiffe mit Getriebe?
Homer hat geschrieben: zu 3) Der Lotse wird zu einer bestimmten Abfahrtszeit gebucht und die Liegegebühr im Hafen fällt ja auch noch an. Jede Verzögerung kostet.
Danke für den Hinweis. Hab völlig vergessen, dass natürlich auch auf die Liegezeitkosten hin optimiert werden muss. Intuitiv würde ich nicht im geringsten denken, dass die Pierkosten so hoch sind wie die Kosten für langsame Fahrt auf See, aber wohl möglich. Haben Mitleser hier Anekdoten, Beispiele etc. über verschiedene gegenläufigen Interessen, die ein Schiff/Veranstalter mit dann grotesken Auswüchsen ausbalancieren muss?
Homer hat geschrieben: Fachmann bin ich aber auch nicht
gruß
Trotzdem Danke!
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henry
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Re: Haken in der Routenführung, Minimaltempo eines Schiffs

Beitrag von henry »

hallo Ben
es ist in der Tat so, daß ein Schiff von Fall zu Fall bewußt langsam bzw in Schleifen gefahren wird; in den Häfen gibt es "Verträge", "Liegezeit von ...bis" darf nicht überschritten werden, sonst wird´s unter Umständen verdammt teuer; selbst erlebt in New York, wo die Artania von Käptn Thorn seeehr langsam Richtung Pier bewegt wurde und erst eyakt um 8:00 Uhr die Leinen übergeworfen wurden, da - so sagte man uns - der Gebührentag um 8 Uhr beginnt und jedes frühere Leinenwerfen bewirken würde, daß man die Nacht vorher mitbezahlen muss. Gleiches gilt für das Ablagen. Hinzu kommt, daß Lotsen, Hafenlotsen, Festmacher etc ja auch für eine exakte Uhrzeit bestellt sind und so bezahlt werden. Die Hafengebühren sollen jedoch von Hafen hzu Hafen - abhängig von der Fequenz - sehr unterschiedlich in Höhe und Handhabung sein; ein Hafen, der froh um jedes Schiff und jeden Passagier mit Landgang ist, wird wohl eher "entgegenkommend" sein, ein Hafen mit hoher Frequenz und engem Liegeplan wird eher sehr teuer und bzgl der Einhaltung gebuchter Zeiten sehr genau sein.
AIDA-Schiffe fahren übrigens sehr ofr ziemlich langsam, weil diese bei einigen Routen sehr nahe beieinander liegende Häfen in Folge ansteuern - und auch da gilt Kostenoptimierung. Kannste bei auf der Homepage (da gibt es so etwas wie "wo ist die AIDADingsbums heute) nachschauen - auch für die Seezeit - mit Geschwindigkeit.
Schiffe haben meines Wissens kein "Getriebe", sondern die Welle dreht sich entsprechend der gewählten Geschwindigkeit - auch das habe ich von Fachleuten gehört, Ich bin auch nur ein "interessierter Kreuzfahrer".
Ansonsten AN ALLE schöne Weihnachten und kommt gut ins neue (Kreuzfahrt-)Jahr; ich bin denn ab 28.12. mal für ´ne Woche weg (s. Signatur)
Emrys

Re: Haken in der Routenführung, Minimaltempo eines Schiffs

Beitrag von Emrys »

Guten Heiligmorgen zusammen,

so etwas hatten wir auf dem 4. Abschnitt der Weltreise auch. Die Entfernung von Nha Trang nach Ho Chi Minh Stadt in Vietnam ist nun nicht besonders groß, trotzdem lag dazwischen ein kompletter Seetag. Die Route verlief ungefähr so wie auf der Karte eingezeichnet, und das Schiff dümpelte den ganzen Tag mit weniger als 10 Knoten vor sich hin. Eine Bewegung war praktisch nicht zu spüren.

Bild

Ein frohes Fest an alle,
Arne
Randolf
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Re: Haken in der Routenführung, Minimaltempo eines Schiffs

Beitrag von Randolf »

Hallo,
das sind wirklich interessante Fragen. Wir haben uns gelegentlich auch schon über Langsamfahrstrecken gewundert. Ist es so definitiv unüblich mit einem KF-Schiff z.Bsp in der Nacht, bzw . am Morgen vor dem Einlaufen in den Hafen noch auf Reede zu liegen ? Aber dann ist es vielleicht keine Kreuz"fahrt" mehr ? Und "Kreuzen" würde ja durchaus auch einem Zick-Zack Kurs entsprechen ? ? Grüße Randolf
FAUN
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Re: Haken in der Routenführung, Minimaltempo eines Schiffs

Beitrag von FAUN »

Falls es noch von Interesse sein sollte, hier treffen mehrere Interessen auf einander. Die ökonomische Seite will sparen. D.h., man will keine Hafengebühren zahlen für Zeiten, die nicht genutzt werden können. So ist das langsame "Dahintrödeln" unter Umständen "billiger" als das Liegen im Hafen. Deshalb kostet das Warten auf Nachzügler, wenn die eingebaute Toleranzzeit abgelaufen ist, richtig Geld. Gleiches gilt für frühes Einlaufen, wenn z.B. die gesamte Tagesplanung erst Stunden später einsetzt.
Da es hier anfangs um die "Artania" ging, sie hat nach dem Umbau 4 Wärtsilä 12V32-Hauptmaschinen, die paarweise jeweils über ein Getriebe auf einen Verstellpropeller arbeiten, oder etwas weniger technisch ausgedrückt, das Schiff hat 2 Schrauben. Die Schrauben- bzw. Propellerblätter sind verdrehbar. So kann man diese so verstellen, daß sie für vorwärts, neutral oder rückwärts stehen können. Jeweils 2 Hauptmaschinen treiben jetzt über ein Getriebe einen dieser Propeller an. Das Getriebe ist notwendig, weil die Hauptmotoren 750 U/min drehen, die Schrauben aber nur etwa 100 U/min. Die geringe Schraubendrehzahl hängt damit zusammen, daß mit kleiner werdenden Drehzahl der Wirkungsgrad des Propeller steigt.
Die Schiffsgeschwindigkeit wird also nur durch die Steigung des Propellers bestimmt. Mit größer werdenden Steigung läuft das Schiff schneller, dazu muß aber bei den Motoren auch mehr "Gas gegeben" werden. Bei Schiffsmotoren spricht man von "Füllung". Hier ist eine bestimmte Füllung notwendig, deshalb auch die Mindestgeschwindigkeit. Dieses gilt natürlich nicht für die Anlegemanöver, aber wenn man eine Nacht oder Tag unterwegs ist.
Die Hauptmaschinen erzeugen auf See über sog. Wellengeneratoren den Strom für den Schiffsbetrieb, so auch auf der "Artania", aber im Hafen laufen normalerweise sog. Hilfsdiesel mit anghängten Generatoren. Die Hauptmaschinen stehen
dann.
Ich hoffe, es war nicht zu technisch.
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henry
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Re: Haken in der Routenführung, Minimaltempo eines Schiffs

Beitrag von henry »

Danke, FAUN, für die fachmännische Aufklärung. Ich denke, da sprach (schrieb) ein Fachmann, oder?
das Thema das Hafenliegegebühren ist ein anderes, ich erinnere mich dazu an die Aussage eines Reiseleiters zur Frage eines Mitreisenden, warum die Artania vorm Anlegen in New York extrem langsam "hindümpelte" und "Schlag acht" an die Pier ging: anlegen vor acht - da zahlt Du noch die letzte Nacht... alles klar!
FAUN
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Re: Haken in der Routenführung, Minimaltempo eines Schiffs

Beitrag von FAUN »

Hallo henry, ist doch ein interessantes Gebiet. Und wenn die Leute in ihren weißen Uniformen auf der "Brrrüggge" herum laufen, sollte man es mal in "Natur" gesehen haben.
New York scheint ein spezieller Fall zu sein. Wo legt die "Artania" eigentlich an? Brooklyn oder Manhattan?
Ewald
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Re: Haken in der Routenführung, Minimaltempo eines Schiffs

Beitrag von Ewald »

Hallo Faun, die Beschreibung von Dir ist OK, einen kleinen Einwand habe ich aber doch :)
Die zwei Wellengeneratoren sind sicher nicht in der Lage den Strombedarf zu decken, ein KF-Schiff hat doch einiges mehr zu versorgen als ein Frachter - allein der Hotelbereich frist ganz schön des Saft - Küche, Klimaanl., allgem. Beleuchtung und und
Und ohne Hilfsdiesel geht nix an Bord. Diese laufen auch in den Häfen,denn wo sonst sollte der Strom herkommen? In der Regel laufen zwei der drei Hilfsdiesel (Abhängig vom derzeitigen bedarf) - meist im 12Std Takt.
Ewald
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Re: Haken in der Routenführung, Minimaltempo eines Schiffs

Beitrag von Knase »

Mit MSC ging es mir beim letzten mal so, dass wir schon weit vor der Angegeben Zeit im Hafen waren, was ich eher als negativ empfunden habe.
FAUN
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Re: Haken in der Routenführung, Minimaltempo eines Schiffs

Beitrag von FAUN »

Hallo Ewald, bei der Beschreibung wollte ich nicht so ins Detail gehen. Beim Umbau wurden neben den Hauptmaschinen auch die Getriebe für die Wellengeneratoren gewechselt, die alten Pielstick-Motoren drehten ja langsamer als die neuen von Wärtsilä (ich weiß, die alten waren auch von Wärtsilä, aber in Pielstick-Lizenz). Durch den Umbau soll soviel Platz gewonnen worden sein, daß ein weiterer Hilfsdiesel (Wärtsilä 8L32) in den Maschinenraum paßt. Ich gehe davon aus, daß die Pielstick-Hilfsdiesel erhalten blieben. Leider kenne ich nicht die Leistung der Wellengeneratoren, kann mir allerdings durchaus vorstellen, daß auch auf See ein oder mehrere Hilfsdiesel mitlaufen müssen. Wärtsilä gibt für den 8L32 eine Generatorleistung von 4.300 kW (60Hz/720rpm) an. Mich würde auch der gesamte Strombedarf interessieren.
I
lausebengel
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Re: Haken in der Routenführung, Minimaltempo eines Schiffs

Beitrag von lausebengel »

Danke, Faun, für diese Erklärungen! Auch nach ein paar Monaten noch sehr spannend, finde ich. Woher hast du diese Kenntnisse, wenn ich fragen darf? Beruflich, oder privates Interesse?
FAUN
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Re: Haken in der Routenführung, Minimaltempo eines Schiffs

Beitrag von FAUN »

Hallo lausebengel, heute ist es nur noch privates Interesse. Es freut mich trotzdem, wenn ich etwas zur Beantwortung Deiner Fragen beitragen konnte.
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henry
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Re: Haken in der Routenführung, Minimaltempo eines Schiffs

Beitrag von henry »

FAUN hat geschrieben:Hallo henry, ist doch ein interessantes Gebiet. Und wenn die Leute in ihren weißen Uniformen auf der "Brrrüggge" herum laufen, sollte man es mal in "Natur" gesehen haben.
New York scheint ein spezieller Fall zu sein. Wo legt die "Artania" eigentlich an? Brooklyn oder Manhattan?
sie lag in Manhattan, gleich neben den alten US-Army-Flugzeugträger, also ein idealer Ort, um zu Fuss noch zB den Times-Square zu erreichen.
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henry
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Re: Haken in der Routenführung, Minimaltempo eines Schiffs

Beitrag von henry »

FAUN hat geschrieben:Hallo lausebengel, heute ist es nur noch privates Interesse. Es freut mich trotzdem, wenn ich etwas zur Beantwortung Deiner Fragen beitragen konnte.
also ist meine Vermutung (weil "heute ist es nur noch"...), daß Du früher beruflich damit befasst warst, wo und wie auch immer :)
VG henry
der schon zwei Mal auf der ART-Brücke und auch schon auf zwei anderen Brücken zur Besichtigung war (also: absoluter Laie)
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